Roberto Rizzi Brignoli scheint die Musik des Italieners Giuseppe Verdi wie auf den Leib geschneidert zu sein. Die neue Saison beschließt er mit der Messa da Requiem als Höhepunkt, gesungen von Opernchor, Extrachor sowie Solist*innen des NTM. Ursprung des Werks ist eine Gemeinschaftskomposition der damals bedeutendsten Komponisten Italiens, die zum Gedenken an den 1868 verstorbenen Gioachino Rossini entstanden ist. Verdi selbst hat dazu den Schlusssatz Libera me beigetragen. Nachdem es zu keiner Aufführung gekommen ist, verwendet er diesen nach dem Tod des von ihm verehrten italienischen Dichters Alessandro Manzoni als Grundlage für ein neues, eigenes Requiem. Die Uraufführung findet 1874, an dessen ersten Todestag, in San Marco zu Mailand mit über zweihundert Beteiligten aus Chor und Orchester statt. Der durchschlagende Erfolg der Aufführung löst das Werk sofort aus dem liturgischen Kontext heraus: Es folgen umjubelte Konzerte in der Scala und bald darauf auch in Paris, London und Wien.
Die für den Gottesdienst gedachte Totenmesse wird schon von Zeitgenossen als „Oper in liturgischem Gewand“ bezeichnet. Tatsächlich erinnern die gewaltigen Dimensionen und anschaulichen Schilderungen stark an Verdis Opern – so fügt sich auch die Totenklage aus Don Carlos einwandfrei in das Lacrimosa ein. Doch es werden keine weltlichen Geschehnisse thematisiert, sondern das Schicksal des Menschen nach dem Tod. Die Vorstellung des Jenseits tritt mit großem Bilderreichtum hervor, der alle Höhen und Tiefen der Empfindung durchläuft. In der berühmten Dies-Irae-Sequenz wird der Schrecken des Jüngsten Gerichts in überwältigender Eindringlichkeit geschildert. Mit dem Libera me verklingt die Musik in ergreifendem Flehen um Erlösung und ewigen Frieden.