Als tonmalerisches Sinnbild für Identität und Sehnsucht nach der böhmischen Heimat erklingt Smetanas Moldau neben Dvořáks lebensfroher achter Symphonie. Thorsten Encke spürt in seinem Violinkonzert der Wirkung und Lebendigkeit des Klangs nach.
Zwei idyllische Quellen, eine Waldjagd, eine ländliche Hochzeit, ein Nymphenreigen im Mondschein, gefährliche Stromschnellen – wer kennt nicht die lebendigen Bilder, welche die Moldau vor dem inneren Auge hervorruft? Mit dem im 19. Jahrhundert aufkeimenden nationalen Bewusstsein der Tschechen steht der Fluss Vltava als Symbol für Böhmens Geschichte, schöne Landschaften und geheimnisvolle Mythen. Smetana huldigt mit dem Zyklus Má vlast stolz seiner Heimat. Während der Entstehung trifft ihn aber ein schwerer Schicksalsschlag: Als er 1874 die Moldau als zweiten Teil des Zyklus komponiert, ist er vollständig ertaubt.
Von der böhmischen Heimat lässt sich auch Antonín Dvořák für seine achte Symphonie inspirieren. Diese schreibt er 1889 auf seinem Sommerlandsitz in Vysoká. Die dortige Natur, ihre Weiden und Wälder erwecken in ihm eine große Schaffenskraft. Mit poetischen Landschaftsbildern, Lerchengesang und Volkstänzen schafft er ein Gefühl von Heiterkeit und Lebensfreude. Mit der achten Symphonie löst sich Dvořák von seinem Vorbild Johannes Brahms und der europäischen Tradition, um seine eigene Musiksprache mit folkloristischen Elementen weiterentwickeln zu können.
Die Klänge der Natur in den Kontext unserer heutigen Zeit zu stellen ist für den Komponisten Thorsten Encke ein Schwerpunkt seines Schaffens. Für die diesjährige Auftragskomposition lässt er jedoch die Musik „zweckfrei“ für sich sprechen. Sein Violinkonzert ergründet „die Lebendigkeit des Klanges in vegetativen Verästelungen und evolutionären Entwicklungen“. Mit der Geigerin Tianwa Yang lotet er „Initiative und Reaktion, Raum und Struktur, Klarheit und Wahrung der Vieldeutigkeit“ aus. Ein spannender Kontrast, den Michał Nesterowicz – bereits 2022 in Mannheim zu Gast – zu den beiden böhmischen Werken erzeugt.